Teil haben, Teil Sein – Für eine Demokratie in Vielfalt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Das Motto unseres diesjährigen Bundeskongresses lautet: Teil haben, Teil Sein – Für eine Demokratie in Vielfalt.
Es soll folgendes deutlich machen: Nur da, wo gesellschaftliche Teilhabe möglich ist, entsteht Zugehörigkeit und somit das Gefühl, Teil einer Gesellschaft zu sein.
Teilhabe ist somit eine Grundvoraussetzung für Identifikation, sie geht der emotionalen Verbindung mit den Werten unseres Landes voraus.
Teilhabe schafft Vertrauen und ist der Beginn von Integration – nicht deren erfolgreiches Ende.
Lassen Sie mich kurz unsere Arbeit mit unseren Kürzeln: T G D beschreiben: Denn unsere Initialen stehen gleichermaßen für unsere Wurzeln wie für unsere Ziele: Teilhabe, Gleichstellung, Diversitätsbewusstsein.
Das „T“ in der Türkischen Gemeinde steht für die Interessenvertretung von Türkeistämmigen. Das „T“ steht aber auch für Teilhabe – und zwar für alle Menschen. Was wir als TGD unter Teilhabe verstehen, haben wir u.a. im Jahr 2017 mit der Gründung der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO) deutlich gemacht.
Ich war sehr ergriffen, als unsere Kassenwartin und stellvertretende Bundesvorsitzende Cansu Zeren die erste Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen mit folgenden Worten eröffnete:
„Wir schreiben heute Geschichte. In der Geschichte der BRD kommen das erste Mal alle großen Migrantenorganisationen selbstbestimmt zusammen, um die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft zu diskutieren.“
Wir sind überzeugt, dass sich bessere Teilhabe und auch Einflussnahme auf die Gestaltung unseres Landes am besten durch die Zusammenarbeit möglichst vieler Communities erreichen lässt.
Seit ihrer Gründung setzt sich die TGD für die politische Teilhabe aller hier lebenden Menschen ein: Für das kommunale Wahlrecht, um nur ein Beispiel zu nennen, und für gleiche Möglichkeiten der Mitgestaltung auf allen Ebenen.
Das „G“ in der Türkischen Gemeinde meint auch Gleichstellung.
Wir als TGD möchten die Gleichstellung von Menschen mit Migrationsgeschichte wie die von Männern und Frauen durch aktive Maßnahmen herbeiführen, wir möchten bestehenden Diskriminierungen etwas entgegensetzen.
Unsere Bemühungen reichen von der Arbeit gegen rassistische Gewalt in Wort und Tat über das Engagement gegen undifferenzierte Berichterstattung in den Medien bis zu einem kritischen Blick auf unsere Institutionen und Regelsysteme sowie konkreten Vorschlägen zu ihrer Verbesserung.
In diesem Zusammenhang haben wir für den Tagesspiegel einen Debattenbeitrag über eine mögliche Quote für Menschen mit Migrationshintergrund geschrieben.
Ich weiß, dieses Thema polarisiert und auch ich muss Ihnen gestehen, dass ich so meine Bedenken mit der Quote habe.
Dennoch: Wollen wir unsere Gesellschaft inklusiver und gerechter gestalten, dann müssen wir genau da, wo die adäquate Repräsentation verhindert wird, effektiv nachhelfen. Es geht hier nicht um Sonderrechte, sondern um einen Ausgleich bestehender Benachteiligungen.
Denn eines ist klar: Zukünftsfähige Konzepte für die Einwanderungsgesellschaft können nur da entstehen, wo vielfltige Stimmen auch sichtbar und hörbar werden.
Und dieser Gedanken bringt uns schließlich zum „D“, meine sehr verehrten Damen und Herren, denn das „D“ steht nicht nur für Deutschland – es steht auch für Diversitätsbewusstsein.
Wir empfinden es als unsere Plicht, ein Bewusstsein für die vorhandene Vielfältigkeit unserer Gesellschaft zu schaffen. Das heißt auch, in relevanten Gremien und bei Veranstaltungen immer wieder die Frage zu stellen: Wer fehlt hier eigentlich?
Unser Engagement für eine freie und offene Gesellschaft eint uns auch mit Organisationen, die sich für andere marginalisierte Gruppen einsetzen.
Gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband und dem Liberal-Islamischen Bund haben wir beispielsweise 2018 die Kampagne „Du Plus Ich Gleich Wir“ gestartet, die sich gemeinsam gegen Diskriminierung einsetzt.
Damit haben wir ein Zeichen gegen Homophobie und Islamfeindlichkeit gleichermaßen gesetzt. Und eine solidarische Haltung aller Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen, begründet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir blicken als Bundeskongress heute auf ein verändertes Deutschland, auf veränderte Parlamente und veränderte politische Mehrheiten.
Die Grenzen des Sagbaren werden immer weiter nach rechts verschoben. Worte formen die Art und Weise, wie wir unsere Realität wahrnehmen. Worte können irgendwann zu Taten werden.
Nicht die Migration ist die Mutter aller Probleme, sondern Rassismus und Menschenfeindlichkeit sind es.
Im aktuellen Koalitionsvertrag kommt das Wort Vielfalt und Einwanderungsgesellschaft nicht einmal vor. Nichts von interkultureller Öffnung oder einer Strategie gegen Rassismus und Rechtsextremismus in unseren Sicherheitsbehörden. Eine traurige, eine verheerende Bilanz.
Wir fordern die Politik auf, sich endlich zu unserem Einwanderungsland zu bekennen. Ja mehr noch, diese Vielfalt positiv zu gestalten!
Was bedeutet das eigentlich, in einer Einwanderungsgesellschaft zu leben?
Einwanderungsgesellschaft – das bedeutet, Mehrsprachigkeit zu fördern und Sprachenvielfalt als Wert anzuerkennen.
Einwanderungsgesellschaft bedeutet, mehrere Identitäten zuzulassen. Wir sind ein Sowohl als auch und kein Entweder oder.
Eiwanderungsgesellschaft bedeutet Widerstand zu leisten gegen homogene Reinheitsfantasien.
Und aufzustehen gegen Menschenfeindlichkeit.
Es bedeutet, Minderheiten aktiv zu schützen.
Einwanderungsgesellschaft bedeutet, solidarisch gegen Antisemitismus, Antiziganismus und antimuslimischen Rassismus zu stehen.
Es braucht eine Politik, die nicht von der Vorstellung getrieben ist, Menschen passend zu machen für „Deutschland“. Sondern es braucht eine Politik, die die gemeinsame Gestaltung Deutschlands entlang der Werte unseres Grundgesetzes organisiert.
Ich komme zum Schluss:
Es wurde in letzten zwei Jahren viel diskutiert in unserem Land. Über Zugehörigkeit und Ausgrenzung, über Integration und Abschottung. Eine lebendige Demokratie braucht diese Diskussionen.
Um es in den Worten des Soziologen Aladin El-Mafaalanis zu sagen:
„Konflikte entstehen nicht, weil die Integration von Migranten und Minderheiten fehlschlägt, sondern weil sie zunehmend gelingt.“
Wir als Türkische Gemeinde in Deutschland haben uns immer diesen Konflikten gestellt und werden dies auch in der Zukunft tun.
Eine Reaktion innerhalb unseres Verbandes auf die gesellschaftlichen Veränderungen war ein Leitbildprozess.
Wir haben ein Leitbild verabschiedet, das unsere Vision eines friedlichen Zusammenlebens formuliert. Denn wenn wir für eine vielfältige, offene und gleichberechtigte Teilhabe in unserer Gesellschaft eintreten, dann müssen wir diese Werte auch untereinander leben.
Wir müssen die Öffnung sein, die wir von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen fordern. Nur wenn wir innerhalb des Verbandes alle mitnehmen können, haben wir das Recht, unsere Forderungen nach einer gleichberechtigten Gesellschaft auch nach außen zu tragen. Diesem Anspruch werden wir mit unserem Leitbild hoffentlich gerecht.
Und wir freuen uns und sind stolz, Ihnen dieses Leitbild nun präsentieren zu dürfen:
Vielen Dank.