Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe engagierte Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter!!
Ich freue mich sehr, Sie zum 11. Bundeskongress der Türkischen Gemeinde in Deutschland begrüßen zu dürfen. Dieser Bundeskongress steht unter dem Motto: Vielfalt erleben, Deutschland gemeinsam gestalten.
Unser diesjähriges Motto ist gleichzeitig eine Zustandsbeschreibung und ein optimistisches Bekenntnis zu einer offenen demokratischen Gesellschaft, die zur Zeit aus ganz unterschiedlichen Richtungen bedroht scheint.
Zwei Ereignisse haben die Arbeit der Türkischen Gemeinde in Deutschland in den letzten zwei Jahren besonders intensiv geprägt. Zum einen die Flüchtlingsmigration und zum anderen die politische Situation in der Türkei.
Flüchtlingsmigration
Mit der jüngsten Flüchtlingsmigration ist ein gesellschaftlicher Prozess in Gang gesetzt worden, der Deutschland nachhaltig verändert und der die Herausforderung unser Land als Einwanderungsgesellschaft effektiv zu gestalten eine völlig neue Priorität verleiht. Wir als Türkische Gemeinde in Deutschland sehen uns im Schulterschluss mit anderen Migrantenorganisationen und in der Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren in der Verantwortung, integrationspolitische Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Wir schaffen Teilhabemöglichkeiten für Geflüchtete und andere vor Ort in unseren Mitgliedsorganisationen und, sehr wichtig, bringen unsere Erfahrungen auf der Bundesebene kraftvoll ein. Wir erhalten dafür Unterstützung aus dem Bundesfamilienministerium, von der Bundesbeauftragten, vom Innen und vom Bildungsministerium – was deutlich macht dass es ein Interesse an unserer Einbindung gibt – ich bedanke mich an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit in den letzten zwei Jahren. Wenn wir Migrantenorganisationen in den letzten 20 Jahren also Experten dafür geworden sind, wie Integrationspolitik nicht funktioniert, nützt das nur etwas, wenn wir uns in Entscheidungsprozessen einmischen und konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeiten. Unser Projekt „Interkulturelle Öffnung des Bundesfreiwilligendienstes mit Flüchtlingsbezug“, das wir u. a. beim Integrationsgipfel vorstellen konnten, hat gezeigt was es braucht um Teilhabe zu ermöglichen. Es braucht unser Expertenwissen und es braucht die Bereitschaft der öffentlichen Hand die Vergabesysteme und Förderinstrumente in Frage zu stellen und zu verändern. Ein gemeinsam erstelltes Impulspapier der Migrantenorganisationen zur interkulturellen Öffnung ebenfalls beim Integrationsgipfel vorgestellt, geht in die gleiche Richtung. Es braucht eine Politik, die nicht von der Vorstellung getrieben ist Menschen passend zu machen für „Deutschland“, sondern eine Politik die die gemeinsame Gestaltung Deutschlands entlang der Werte unseres Grundgesetzes organisiert.
In der In fünf Projekten haben wir uns gemeinsam mit über 50 weiteren Migrantenorganisationen dafür engagiert, dass Geflüchtete als Akteure gesehen werden. Näheres finden Sie in unserem Jahresbericht Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wie dem Zentralrat der Afrikanischen Gemeinde, dem Polnischen Sozialrat oder dem Verband syrischer Hilfsvereine aber auch die Kooperation mit „neuen“ Deutschen Organisationen, wie Deutsch Plus erhöht unsere „Durchschlagskraft“ in Sachen Gestaltung unserer Zukunft erheblich. Mit dem VIW, dem Verband für interkulturelle Wohlfahrtspflege, Empowernment und Diversity ist ein Dach für diese gemeinsame Interessensvertretung in der Wohlfahrtspflege geschaffen worden und wir rechnen fest damit, diesen Verband auch als Ansprechpartner in der Wohlfahrtspflege zu etablieren.
Wir sehen uns also nicht in Konkurrenz zu anderen Migrantenorganisationen, sondern möchten, auch durch unseren Know – How – Transfer an andere Organisationen, gerne als Integrationsmotor und Diversitätsmotor für die solidarische Einwanderungsgesellschaft wirken.
Türkeipolitik und unsere Position
Neben der Flüchtlingsmigration war das Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei in jüngster Vergangenheit eines der bestimmenden Themen für die Türkische Gemeinde in Deutschland. Nicht etwa, weil wir glauben (und das möchte ich hier noch einmal ganz deutlich betonen!), dass es unsere Aufgabe wäre, Türkeipolitik zu machen. Vielmehr haben das Wahlrecht der hier lebenden Türkeistämmigen und die Wahlkampagne der türkischen Regierung einen unmittelbaren Einfluss auf das friedliche Zusammenleben in Deutschland, auf uns, gehabt. Dieses Zusammenleben basiert auf dem Fundament von freiheitlich-demokratischen Werten sowie den Menschenrechten. Vor diesem Hintergrund war es notwendig, die demokratiefeindlichen Tendenzen in der Türkei zu kritisieren und mit der NEIN-Kampagne unsere Position deutlich zu machen.
Die anhaltenden polarisierenden Debatten in den deutschen Medien in Bezug auf die Türkei und auch in Bezug auf die türkische Community in Deutschland führen zu verkürzten Darstellungen und undifferenzierten Positionen. Dabei beachten wir mit großer Sorge, wie vorschnell und pauschalisierend türkeistämmigen Menschen eine anti-demokratische und menschenrechtsfeindliche Haltung zugeschrieben wird. Plötzlich werden aus effektiven 13 – 15 % Ja – Wähler*innen unter den Türkeistämmigen ganze 63 % also 2 / 3 die vermeintlich die Demokratie ablehnen. Dıe falsche Darstellung meiner Äußerungen in der Presse im Zusammenhang mit dem möglichen Referendum zur Todesstrafe in der Türkei, sehen wir dabei als symptomatisch für die Debatten über Türkeistämmige in der Öffentlichkeit. Sie zeigt, wie schwer es ist, sich aus der Schublade eines integrationsunwilligen und demokratiefeindlichen Türken zu befreien. Es sind genau diese ausgrenzenden Bilder in der Öffentlichkeit, die von verschiedenen Seiten missbraucht werden, um die Gesellschaft auseinander zu treiben. Denn Diskriminierung und auch institutioneller Rassismus sind Bestandteil der Realität in Deutschland aber:
Mehr Teilhabe und mehr Rechte in Deutschland lassen sich nicht in der Türkei erreichen. Rechte und Teilhabe müssen erstritten werden – und zwar hier: In euren Straßen, in euren Nachbarschaften, in euren Städten.
Herausforderungen und Öffnung
Was sind die zukünftigen Herausforderungen?
Rechtspopulistische Bewegungen in Deutschland (wie die AFD oder Pegida) stellen den sicher geglaubten Konsens einer Einwanderungsgesellschaft in Frage. Antimuslimischer Rassismus ist gesellschaftsfähig geworden. Schießbefehle an deutschen Außengrenzen scheinen wieder denkbar. Auch die immer wiederkehrende Leitkulturdebatte und die Sehnsucht nach nationaler Homogenität machen deutlich, dass hier das Konfliktfeld unserer Zeit liegt. Vielfalt und Demokratie müssen daher immer wieder aufs Neue verteidigt werden.
Die NSU-Morde und die skandalösen Ermittlungsmethoden des gesamten Verfassungsschutzes haben einen strukturellen Rassismus ans Tageslicht gebracht, dessen politische und gesellschaftliche Aufarbeitung bis heute nicht geschehen ist und uns erst noch bevorsteht. Die Öffentlichkeit kann sich sicher sein, dass die Türkische Gemeinde in Deutschland hier nicht locker lassen wird. Der alltägliche und institutionelle Rassismus ist der größte Feind einer freiheitlich-demokratischen Ordnung. Daher fordere ich die Politik und insbesondere die Sicherheitsbehörden auf, endlich klar Farbe zu bekennen und dem Rassismus auf allen Ebenen entschieden entgegenzutreten. Unsere Verfassung zeigt erst dann ihren Wert, wenn sie für alle Menschen gleichermaßen gilt, die Würde von türkeistämmigen Kindern in Schulen also genauso unantastbar ist, wie die der Kinder deutscher Eltern.
Doch nicht nur die NSU-Morde, sondern auch die jüngsten Enthüllungen über rechtsradikale Kräfte in der Bundeswehr machen deutlich, dass Rassismus in staatlichen Institutionen keine Ausnahme ist, sondern ein strukturelles Problem in Deutschland darstellt, dem wir uns stellen müssen.
Vielfalt erleben – Was bedeutet das konkret?
1. Die Türkische Gemeinde in Deutschland, ihre Landesverbände und ihre Mitgliedsvereine, ihre ehrenamtlichen und hauptamtlichen MitarbeiterInnen sind so vielfältig wie nie zuvor. Wir als Türkische Gemeinde wollen diese Vielfalt weiter vorantreiben und sehen diesen Wandel als einen entscheidenden Beitrag bei der Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft.
2. Den Kampf gegen den Rechtspopulismus können wir nur gewinnen, wenn wir bereit sind, uns zu öffnen. Öffnung bedeutet, Gemeinsamkeiten mit anderen diskriminierten und ausgegrenzten Gruppen zu finden und uns miteinander zu solidarisieren. Wir als Türkische Gemeinde haben in letzten Monaten und Jahren erste Schritte dafür getan, indem wir beispielsweise in verschiedenen Aktionen zusammen mit Schwulen- und Lesbenverbänden unsere gemeinsam erlebten Diskriminierungserfahrungen in den Vordergrund gestellt haben. Wir dürfen uns von rechtspopulistischen Gruppen nicht auseinander treiben lassen. Sexuelle Orientierungen und Migrationsbiographien sind keine Gegensätze und dürfen auch kein Kriterium für Ausgrenzung sein. Wir können die Einwanderungsgesellschaft nur dann erfolgreich gestalten, wenn wir Vielfalt leben und allen Gruppen gegenüber offen sind, die ein Interesse daran haben, sich für ein friedliches Zusammenleben einzusetzen.
Ohne die Arbeit der Ehrenamtlichen, die sie unter anderem hier in unseren Stuhlreihen sitzen sehen wäre das alles nicht möglich gewesen, daher gilt Euch mein besonderer Dank, Freunde. Es verdient besonderen Respekt sich gegen viele Widerstände zum Trotz so unermüdlich einzusetzen für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, und auch mit Ministerien und Arbeitsstäben treffen wir täglich auf Menschen die sich ebenfalls diesem gesellschaftlichen Zusammenhalt verpflichtet fühlen und das ist Grund zur Zuversicht dass wir Deutschland wirklich gemeinsam gestalten als offene Gesellschaft und verteidigen gegenüber allen populistischen Angriffen.